tover
In der isländischen Saga über Egil aus dem 13. Jahrhundert wird folgende Geschichte erzählt:
„...Als Egil und seine Gefährten in der Stube sassen und assen, bemerkte Egil, dass eine Frau krank auf der Querbank lag. Egil fragte Thorfinn, wer die Frau sei, der es da so elend gehe. Thorfinn erwiderte, sie heisse Helga und sei seine Tochter, - »ihr Siechtum währt schon eine lange Zeit.« Es war eine schwere, langwierige Krankheit; sie konnte keine Nacht schlafen und war wie von Sinnen.
»Ist irgend etwas gegen ihre Krankheit unternommen worden?« fragte Egil. Thorfinn sagte: »Runen sind geritzt worden, und zwar von einem Bauernsohn hier ganz in der Nähe. Seitdem ist es noch viel schlimmer als zuvor. Kannst du, Egil, etwas zur Heilung eines solchen Übels tun?« Egil erwiderte: »Es kann sein, dass es nicht schlechter wird, wenn ich eingreife.« Und als Egil gesättigt war, ging er dahin, wo das Mädchen lag, und sprach mit ihr. Dann hiess er sie von dem Lager heben und reines Zeug unter sie legen. Das wurde sofort getan. Dann untersuchte er die Stelle, auf der sie gelegen hatte, und fand da ein Stück Walbarte, und darauf waren Runen geritzt. Egil las sie, und dann schabte er die Runen mit dem Messer ab und liess das Abgeschabte ins Feuer fallen. Er verbrannte schliesslich das ganze Stück Barte und liess das gesamte Zeug, das das Mädchen bislang benutzt hatte, an die Luft bringen.
Dann sprach er:
»Der ritze nicht Runen,
der sie nicht richtig versteht.
Viele müssen es erfahren,
dass falsche Rune Wirrnis bringt.
Auf dem geglätteten Fischbein
fand ich zehn unklare Runen.
Der Linde des Lauchs[1]
viel Leiden sie schufen.«
Egil ritzte Runen und legte sie unter das Kissen des Lagers, auf dem das Mädchen ruhte. Da war ihr, als ob sie aus einem Schlaf erwache, und sie sagte, dass sie gesund sei. ...“[2]
Meine Komposition „tover“ für Viola und Klavier gliedert sich in fünf Sätze, wovon jeder im Zeichen eines Buchstabens des Titels steht.
Zur Bedeutung von „tover“ sei aus dem „Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache“ von Friedrich Kluge zitiert; dort heisst es zum Begriff „Zauber“:
„...Mittelhochdeutsch zouber ..., althochdeutsch zoubar, mittelniederdeutsch tover, tober, mittelniederländisch tover aus germanisch *taubrá-...‘Zauber’, auch in altnordisch taufr ... Altenglisch tē̵̵afor ... bedeutet ‘Rötel’, was damit zusammenhängen kann, dass Runen häufig eingefärbt wurden – ob die altenglische Bedeutung aber ursprünglicher oder sekundär ist, lässt sich nicht erkennen. Herkunft unklar.“[3]
Zum Schluss noch folgenden Vers aus dem „Hávamál“, den „Sprüchen des Hohen“, die zur Lieder-Edda (Überlieferung aus dem 13. Jahrhundert) gehören:
„Was wirst du finden,
befragst du die Runen,
Die hochheiligen,
Welche Götter schufen,
Hohepriester schrieben?
Dass nichts besser sei als Schweigen.“[4]
[1] Linde des Lauchs: Frau
[2] aus: „Die Saga von Egil“, in: Isländer-Sagas, Erster Band, übertragen und herausgegeben von Rolf Heller, Leipzig, Insel Verlag, 1982
[3] Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 22. Aufl., bearb. von Elmar Seebold, Berlin, New York, 1989
[4] aus dem „Havamal“, übersetzt von Karl Joseph Simrock, Stuttgart 1876
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